Geht nicht, gibt's nicht!

Früher war ich nicht besonders reiselustig. Meine Lieblingsdestination war mein Zuhause und das Fernweh bezog sich höchstens auf den Kühlschrank, während ich auf der Couch hockte. Nicht, dass ich nicht gerne in die Ferien gegangen wäre, aber Heimweh war mir definitiv vertrauter als Fernweh. Das einzige, wonach ich mich in diesem Zusammenhang dennoch immer gesehnt habe, waren das Meer und Florida. Als Kind hatte ich nämlich einmal in einer Zeitschrift gelesen, dass es dort Delfine gibt. Außerdem hatte sich meine Mutter dazumal die Serie «Florida Lady» angeschaut und sich den passenden Soundtrack dazu gekauft. Ich kann mich daran erinnern, wie ich mir als Heranwachsende, vor dem offenen Fenster stehend, die Songs auf der CD angehört und dabei vorgestellt habe, wie ich in einem Cabrio sitzend in die Freiheit düse. Diese Freiheit war in erster Linie ein Gefühl, jedoch eines, das ich von da an mit dem warmen Bundesstaat in Verbindung brachte. So war es auch nicht verwunderlich, dass ich den Wunsch entwickelte, irgendwann einmal über den großen Teich zu fliegen.

Inzwischen bin ich sogar schon ganze vier Mal dort gewesen, wo ich – faul am Strand liegend – tatsächlich Delfine in Freiheit beobachten konnte. Spätestens ab dem zweiten Besuch fühlte es sich jedes Mal ein bisschen so wie Heimkommen an. Dass ich den Sunshine State erkunden konnte, habe ich allerdings nicht mir, sondern meinem damaligen Partner zu verdanken. Ebenso die Tatsache, dass wir später drei Monate durch die USA getourt sind. Die Vorfreude und Organisation für unsere Reisen hatte ich dabei jeweils weitgehend ihm überlassen, denn so gerne ich auch nach Florida fliegen wollte, spielten da stets gewisse Ängste und Unsicherheiten eine Rolle, die mich wohl davon abgehalten hätten, jemals allein diesen Schritt zu wagen. Entsprechend dankbar bin ich meinem Ex-Partner, denn gerade unser Roadtrip durch Amerika ist etwas, wovon ich heute noch zehren kann. Wir sammelten fast durchwegs positive Erfahrungen auf diesem oft so verpönten Weltfleck. Die Ferienplanung war nicht das Einzige, das ich größtenteils ihm überlassen hatte, denn ich fühlte mich in dieser Zeit oft lust- und energielos. Die Augen sahen das Meer, die Delfine und den Grand Canyon, aber mein Herz und mein Kopf schienen je länger denn mehr stets irgendwo anders zu sein. Mir fehlte die Muse, selbst aktiv zu werden. Dazumal dachte ich einfach, ich sei nun mal so. Jemand, der nicht sonderlich gerne organisiere oder in die Ferne schweife, außer in meinen Fantasien, am geöffneten Fenster stehend. Ich hätte zu jener Zeit aber definitiv einen Mann an meiner Seite gehabt, der mit mir wohl bis ans Ende der Welt getingelt wäre, hätte ich dies so gewollt.

Nachdem unsere Beziehung in die Brüche gegangen war, brach ich etwas später auch mit meinem Job. Ein neuer Lebensabschnitt begann und schließlich kam ich mit meinem heutigen Mann Applejack zusammen. Etwa zeitgleich entwickelte sich in mir plötzlich eine – im Vergleich zu früher – unbändige Lust, die Welt auch außerhalb des Kühlschrankes zu entdecken. Nicht allein, sondern mit Applejack, denn nun schien auch mein Herz am richtigen Fleck zu verweilen. Ich wollte möglichst viele kleine und große Wunder auf unserer Erdkugel mit ihm zusammen erleben. Das Problem war nur, ich war mit einem Autisten liiert. Nicht mit einer Version von Peter Schmidt, der es liebt Straßen «all over the world» zu sammeln, sondern mit jemandem, der (noch) nicht in der Lage dazu war, sein Schneckenhaus überallhin mitzunehmen. Einer, der es nicht sonderlich mochte, seine gewohnten Strukturen zu verlassen. Neues bereitete ihm Unwohlsein und zudem war da seine damals noch deutlich ausgeprägtere Sucht, die stets auch mitreden wollte. Mit gewissen Medikamenten und Substanzen empfahl es sich nun mal nicht zu reisen. Schlechtes Timing dachte ich mir und erwartete in dieser Hinsicht erstmal nichts. Es war für mich schon ein Highlight, als wir das erste Mal zusammen einen Kurztrip ins Bündnerland machen und auch genießen konnten. Nie im Leben hätte ich es für möglich gehalten, dass wir einmal außerhalb der Schweiz Ferien machen können würden. Seine psychische Verfassung stabilisierte sich jedoch zunehmend und ich wurde listiger, nicht hinterlistig, nur listig. Ich hatte inzwischen meine Freude daran entdeckt zu analysieren und zu organisieren. Ich setzte mich mit der Frage auseinander, auf welche Art und Weise es realistisch werden könnte, mit ihm ins Ausland zu verreisen.

Zunächst suchte ich mir ein Reiseziel aus, das in nur wenigen Flugstunden erreichbar war, denn ich wusste: Die Flugzeit durfte nur so lange dauern, wie er seine hyperaktiven Beine stillhalten konnte. Meine Aufmerksamkeit blieb an Ibiza hängen. In verschiedenen Dokumentationen wurde das Hippie-Flair der Insel aufgegriffen. Ibiza schien nicht nur ein Ort für Partyverrückte und «Drögeler» zu sein, sondern auch einer für Aussteiger und Anders-Denkende. Mir ging ein Lichtlein auf. Irgendwie schien dieser Ort zu uns zu passen. Vorsichtig, aber zielgerichtet informierte ich Applejack über das Gesehene und konnte mein Glück kaum fassen, als ich feststellte, dass ich damit tatsächlich sein Interesse geweckt hatte. Der erste Schritt war vollbracht. Als zweiten gestaltete ich eine Power Point Präsentation, in welcher ich akribisch darstellte, wie, wo und wann wir voraussichtlich was machen. So zeigte ich ihm beispielsweise bereits unsere Sitzplätze im Flugzeug. Irgendwann realisierte ich, dass alles, was ich in diesem Zusammenhang für ihn tat, ich im Endeffekt auch für mich selbst machte. Auch ich hatte eine Vorliebe für gewisse Strukturen und Absehbarkeiten. Ich war kein Fan von unerwarteten Ereignissen außer, es regnete Pudding. Natürlich kann man nicht alles vorhersehen, denn wie es so schön heißt: «Während du Pläne schmiedest, fällt dein Schicksal lachend vom Stuhl!» Allerdings kann man dafür sorgen, dass das Unvermeidbare möglichst überschaubar bleibt. Mir dämmerte, dass ich unter anderem auch deshalb davon ausgegangen war, nicht sonderlich reiselustig zu sein, weil ich das Gefühl hatte, dafür müsste man Zelte, Camping und Ungewissheit lieben. Dies taten wir jedoch beide nicht. Was aber, wenn wir einfach unseren ganz eigenen Weg gingen? Immer wieder kann ich feststellen, wieviel möglich ist, wenn man es auf seine eigene Art und Weise versucht, anstatt sich ständig mit anderen zu vergleichen. Geht nicht, gibt’s nicht. Es geht lediglich manchmal nicht so, sondern andersrum.

Die Power Point Präsentation überzeugte ihn jedenfalls endgültig von Ibiza. Um unnötigen Stress zu vermeiden, organisierte ich im Voraus einen Gepäckservice, der nicht nur unsere Koffer von der Haustür zum Flughafen transportierte, sondern auch den Check-in enthielt. Wir mussten später also weder sperrige Koffer in überfüllte Züge bugsieren noch lange in einer Schlange ausharren, um unser Gepäck aufzugeben. Und ja, natürlich kostet einem dieser Luxus etwas, aber hätten wir ihn nicht gehabt, so hätte es uns noch etwas viel Wertvolleres gekostet, nämlich Nerven. Ich wollte unbedingt, dass mein Mann, nach über einem Jahrzehnt, eine möglichst positive Reiseerfahrung machen konnte, denn ich wusste, dass wenn dieser Fall zutraf, die Chancen stiegen, dass irgendwann auch er dazu bereit war, mich bis ans Ende der Welt zu begleiten. Applejack war alles andere als entspannt, weder vor, während noch nach dem Flug. Vor Ort begann er jedoch allmählich aufzublühen und irgendwann war ihm die Umgebung genug vertraut, dass er allein in den sich gegenüber unserem Hotel befindenden Lebensmittelladen ging. Es wurde tatsächlich eine positive Reiseerfahrung für uns beide und das nicht nur, weil wir Glück hatten, sondern nicht zuletzt deshalb, weil wir die Ferien auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten hatten, auch wenn dies bedeutete, dass wir manchmal wie ein Rentnerpaar unterwegs waren und einige unserer Altersgenossen, wohl an der Folge von akuter «Unspontanität» verzweifelt wären.

Inzwischen sind wir schon ein paar Mal zusammen verreist. Er ist offener geworden und mein Traum, nochmals durch die USA – insbesondere Florida – zu tingeln, scheint nun plötzlich nicht mehr so weit hergeholt. Nebst der Finanzierung gibt es allerdings einen weiteren Haken in der Geschichte, die hoffentlich in naher Zukunft geschrieben werden kann. Einen Haken, den ich an dieser Stelle in den nächsten Blogbeitrag werfe, denn: «You can cross the ocean, but how does it work am schlausten?»